Mit der Geburt eines Kindes beginnt ein Abschnitt des Beziehungslebens, der unberechenbarer kaum sein könnte. Doch gerade diese Unberechenbarkeit, die ständige Frage nach „Was kommt jetzt?“ ist das Fundament der elterlichen Instinkte. Und die sind, obwohl viele es meinen, nicht angeboren. Zudem unterscheiden sich jene eines Menschen nur marginal von der väterlichen und mütterlichen Fürsorge in der Tierwelt. Die psychologisch wie genetisch bedingte Verhaltensweisen sind bei Mensch und Tier nicht unähnlich – und daher ist auch eine sexuelle Unlust bei Frauen nach einer Geburt nichts Ungewöhnliches.
Was bedeutet eigentlich „nach der Geburt“?
Hat der Nachwuchs das Licht der Welt erblickt, gerät der Alltag zweifelsohne aus den Fugen. Aber wieso? Zunächst will gesagt sein: Es ist vollkommen natürlich, dass eine Mutter sich nun primär um die Gesundheit und das Überleben ihres Kindes kümmert. Dies dient nicht bloß dem Überleben des eigenen Kindes, sondern global betrachtet der Erhaltung der Spezies Mensch. Bei fast allen Gattungen von Lebewesen ist dieses Verhalten einer Mutter zu beobachten. Und durch das Stillen, das nicht nur Geborgenheit und Wärme bringt, sondern auch Stress abbaut, Ängste nimmt, dem Kind überlebensnotwendige Nährstoffe liefert und die emotionale Bindung stärkt, wird die Mutter naturgemäß Vertrauensperson Nummer eins. Nicht zuletzt aus diesem Grund legen Kinder, die mit einem Vater, jedoch ohne Mutter aufwachsen, später ein anderes Verhalten an den Tag.
Sowohl Menschenkinder als auch Tierbabys erlernen im Laufe der Zeit jene Fähigkeiten, die sie zum Überleben brauchen: das Kommunizieren, das Fortbewegen, das Nähren und Ernähren. Ein menschliches Baby hat dazu heute aber wesentlich mehr Zeit als ein Tier: Es wächst behütet in seinem eigenen Familienterritorium auf – in der Regel ohne Feinde.
Das Kind hat Priorität
Während der ersten Wochen, in denen Mutter und Kind viel für sich sind und der Vater biologisch bedingt nicht für das Überleben des Kindes sorgen kann, fühlen sich viele Väter vernachlässigt, kommen sich unnütz oder ausgeschlossen vor. Manch einer neigt zur Eifersucht, ein anderer zu Traurigkeit und Depressionen. Ein Gefühl, das dem starken Beschützer der Familie nicht gefällt. Die emotionale Distanz, die hier entsteht, könnte mit Leichtigkeit überwunden werden, erfordert jedoch Einfühlungsvermögen und Verständnis von beiden Seiten: Die Basis, um solche Beziehungsprobleme zu vermeiden, sind Gespräche im Vorfeld. Auch wenn viele Bedürfnisse erst aus der Eltern-Situation heraus entstehen, so gilt es, auf die Wünsche des jeweils anderen Rücksicht zu nehmen, ohne dabei die eigenen vernachlässigen zu müssen.
Während sich in der Welt der Mutter „instinktiv“ nun alles um ihr Kind dreht, ist es für sie schwer zu verstehen, dass der Vater – der zumindest anfänglich noch nicht dieselbe Bindung zum Kind hat – auch eigene, körperliche Bedürfnisse hat, die erfüllt werden wollen. Doch die verbleibende Energie einer Mutter lässt dies am Ende des Tages oft nicht zu. Dies liegt in der Natur des Elternseins und kann durchaus eine länger andauernde sexuelle Unlust bei Frauen zur Folge haben; es bedeutet jedoch keineswegs, dass die Frau nach der Geburt keine Gefühle mehr für ihren Partner hat. Und erst recht nicht, dass sie ihn ausgrenzt oder abstößt. Auf keinen Fall sollte man damit beginnen, die gesamte Beziehung, die womöglich schon Jahre harmonisch anhält, infrage zu stellen.
Alles eine Frage des Blickwinkels?
Ohne Gespräch und Verständnis verharren Eltern jeweils in ihrem eigenen Blickwinkel, bis sie ihn nicht mehr ertragen und einen Schlussstrich ziehen. Eine Situation, unter der vor allem das Kind langfristig leidet. Bevor es dazu kommt, und wenn persönliche Gespräche scheitern, hilft immer noch eine Meinung von außen: Unterhaltungen mit anderen Paaren verhilft oft zu einer neuen Sichtweise und man kann lernen, mit der fordernden Situation umzugehen; mit dem Wissen, dass sie nur temporär ist.
Nicht außer Acht zu lassen ist die psychische Belastung, denen beide Elternteile unweigerlich ausgesetzt sind. Während der Mann sich sexuell vernachlässigt fühlt und sich im äußersten Notfall alternative Befriedigung suchen könnte, neigen Frauen dazu, ihm dies bei Verhaltensauffälligkeiten ohnehin zu unterstellen; denn sie selbst fühlt sich nach der Geburt ihres Kindes nicht nur zu müde, um ihren partnerschaftlichen Aufgaben nachzukommen, sondern nimmt an sich viele Eigenschaften als negativ und unattraktiv war: Möglicherweise hat man ein paar Kilos zugelegt, der schlechte Schlaf durch das ständige Geweckt-werden leidet ebenfalls – dies und viele andere Einflüsse werden an der Frau körperlich sichtbar. Da scheint es doch logisch, dass der Partner sich andere Optionen sucht. Oder?
Dos and Don’ts
Neben klärenden und klaren Gesprächen über die eigenen Bedürfnisse und Wünsche ist es wichtig, keinen Druck aufzubauen. Vor allem bei Paaren, wo einer von beiden ein übermäßig starkes sexuelles Verlangen hat, gestaltet sich dies als schwierig, jedoch nicht als unlösbar. Kompromisse sind von großer Wichtigkeit. Und diese müssen auch nicht jeden Tag auf der Agenda stehen. Damit diese schwierige Phase nach der Geburt erfolgreich gemeistert werden kann, ist Zeit ein wertvoller Unterstützer. Sich bewusst füreinander Zeit zu nehmen ist ein heilender Faktor für viele Beziehungsprobleme, nicht nur nach einer Geburt. Und wie diese Zeit gefüllt ist – das ist eine Frage der Kompromisse, der eigenen Wünsche und der des Partners.
Auch der Respekt darf nicht leiden: Weder ist das Dasein als Mutter und Hausfrau eine Selbstverständlichkeit, noch dass der Vater von morgens bis spät nachts im Büro sitzt und Überstunden schiebt. Ohne der Mutter überlebt das Kind biologisch nicht; ohne dem Vater überlebt womöglich die Mutter existenziell nicht, wenn sie selbst vorübergehend keinem Beruf nachgeht. Ohne an dieser Stelle explizite Geschlechterrollen zu verteilen: Beide leisten im Rahmen ihrer Möglichkeiten ihren Betrag zum Familienleben und geben ihr Bestes. Den Vater für seine ständigen Überstunden zu kritisieren, während man als Mutter ganztags das Kind versorgt, ist ebenso unratsam, wie gegenüber der Mutter zu behaupten, sie würde nicht richtig arbeiten. Denn neben all den Sorgen, die das Muttersein im Alltag mit sich bringt, bleibt stets die Frage offen, ob man denn eine gute Mutter ist und alles richtig macht. Ist die Antwort des eigenen Partners ein Nein oder übt er Kritik in einer Situation, die für ihn genauso fremd ist, ist Streit vorprogrammiert.
Aufgaben definieren, Klarheit schaffen
Auch hier hilft wieder: Egal, wer in einer Beziehung die Rolle des Geldverdieners oder des Haushaltsführenden hat, Gespräche verhindern viele Probleme. Im Vorfeld klare Regeln zu schaffen – beispielsweise, dass der Vater sich ab vier Uhr nachmittags um das Kind kümmert – damit auch die Mutter einem kleinen Job im Homeoffice nachgehen kann, hilft, die Waage zu halten. Gemeinsame Zeiten zu vereinbaren, in denen Vater, Mutter und Kind sich einfach ihres Familiendaseins erfreuen und den Haushalt mal eben liegen lassen, schweißen zusammen und heben die schönen Seiten hervor. Und ab einem gewissen Alter darf ruhig auch Großmutter mal auf den Nachwuchs aufpassen, um den Eltern ein paar Stunden Zweisamkeit zu ermöglichen.
Elternteilzeit ist heute nichts Unübliches mehr, weder für den Mann noch für die Frau. So ergibt sich eine hervorragende Möglichkeit der Arbeitsaufteilung, ohne sich zu überarbeiten. Beide haben Zeit für das Kind und für den Partner. Doch sie zu nützen, und vor allem das „Wie“, das ist und bleibt eine Ausmachsache und unterliegt – im Grunde – nur den Grenzen, die die Eltern sich setzen.
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